Politik
Donnerstag, 5. September 2019
Berlin – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat mit seinem Entwurf für ein „Gesetz zur Stärkung von Rehabilitation und intensivpflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung“ eine Welle des Protests ausgelöst.
Auf der Internetseite Change.org haben inzwischen mehr als 100.000 Menschen die Petition „Lasst Pflegebedürftigen ihr Zuhause! Stoppt das Intensivpflegestärkungsgesetz“ unterschrieben. Heute wurden die Unterschriften im Ministerium überreicht.
Spahn betont, er wolle dafür sorgen, dass Beatmungspatienten nach dem Krankenhausaufenthalt besser betreut werden. „Und es soll alles getan werden, um sie so schnell wie möglich von einer künstlichen Beatmung zu entwöhnen.“ Auch sollten Geschäfte auf Kosten schwerkranker Menschen verhindert werden.
Doch dann kommt der für Kritiker entscheidende Punkt: „Außerklinische Intensivpflege soll in der Regel in stationären Pflegeeinrichtungen und spezialisierten Wohneinheiten erbracht werden“, heißt es. Patienten sollen danach künftig entweder in vollstationären Pflegeeinrichtungen oder in speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten untergebracht werden. Das gelte allerdings nicht für Patienten unter 18 Jahren.
Weiterhin Protest
Aus Sicht von Betroffenenverbänden wie dem Aktionsbündnis aus ALS-mobil und AbilityWatch ist das ein Unding. Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz übt Kritik. „Ohne Zweifel braucht es eine hohe Qualität in der ambulanten Intensivpflege“, sagte Vorstand Eugen Brysch. Diese schwerstkranken Patienten seien extrem verletzlich.
Kriminellen in dieser lukrativen Branche müsse das Handwerk gelegt werden. Doch die Politik greife zu stark in die Freiheitsrechte von schwerstkranken Menschen ein und verhindere weitgehend eine Intensivpflege in den eigenen vier Wänden.
Ähnlich äußern sich die Betriebskrankenkassen. „Es ist ein offenes Geheimnis, dass von den schätzungsweise 15.000 bis 30.000 Beatmungspatienten, die zu Hause oder in Beatmungs-WGs versorgt werden, etwa 60 bis 70 Prozent von der künstlichen Beatmung entwöhnt werden könnten“, erklärten Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes.
Klar müsse aber auch sein, dass das Recht auf Selbstbestimmung bei der Wahl des Versorgungsortes nicht eingeschränkt werde, so Knieps. „Hier muss der Gesetzestext noch einmal präzisiert werden.“
Nach Angaben der Betriebskrankenkassen ist die Zahl der Intensivpflegedienste alleine zwischen Januar 2014 und Dezember 2016 um fast 25 Prozent und damit im Vergleich zu Pflegediensten überproportional gestiegen. Die Kosten für die Intensivpflege belaufen sich auf 15.000 bis 20.000 Euro pro Versicherten und Monat. Hochgerechnet sind dies bundesweit zwei bis vier Milliarden Euro pro Jahr.
Angesichts des Protestes signalisiert das Ministerium zumindest Nachdenklichkeit. In einer Antwort auf einen Brief eines Betroffenen versichert ein Sprecher, man wolle die ambulante intensivmedizinische Versorgung deutlich verbessern und Missbrauch dort bekämpfen, wo „Patienten über 24 Stunden/7 Tage die Woche in zum Teil dubiosen Strukturen für viel Geld schlecht gepflegt werden“. Die selbstbestimmte Wahl des Aufenthaltsortes wolle man erhalten.
Nicht betroffen seien zudem Pflegebedürftige, die keine 24-Stunden-Pflege durch eine Pflegefachkraft benötigten. Auch Patienten, die mit einer 24-Stunden-Intensivbetreuung durch eine Pflegefachkraft am sozialen Leben teilnehmen, könnten weiterhin Anspruch auf Pflege zu Hause haben. © kna/aerzteblatt.de