Vermischtes

Dienstag, 5. November 2019

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Hannover – Bankgeschäfte, Verträge oder medizinische Notfälle – wer trifft Entscheidun­gen für mich, wenn ich das nicht mehr kann? Mit dieser Frage sollten sich nach Ansicht von Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) mehr Menschen befassen. Grund ist nach Angaben des Ministeriums die in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegene Zahl der Betreuungsverfahren.

Rechtliche Betreuung kann notwendig werden, wenn jemand seine Rechtsangelegenhei­ten ganz oder teilweise nicht mehr selbst regeln kann. Während es 1995 noch etwa 65.000 Betreuungsverfahren in Niedersachsen gab, waren es zu Beginn des Jahres 2019 rund 141.000.

Diese Zahlen veröffentlichte das Ministerium anlässlich des ersten landesweiten Tag des Betreuungsrechts Ende September. „Viel zu oft besteht Unklarheit darüber, welche recht­lichen Folgen die Erkrankung oder Behinderung eines Erwachsenen nach sich ziehen kann“, sagte Justizministerin Havliza dabei. Mancher sei überrascht, wenn Ehepartner oder Eltern eines volljährigen Kindes den Erkrankten nicht ohne weiteres vertreten könnten.

Havliza warb dafür, sich rechtzeitig eine Vorsorgevollmacht zu erstellen. Damit lasse sich selbstbestimmt festlegen, wer im Fall der Fälle die Angelegenheiten regelt. Denn ein großes Problem aus Sicht von Experten ist, dass viele Menschen denken, dass sich etwa Eheleute oder Familienangehörige automatisch vertreten.

„Das ist aber ein Irrglaube“, sagte Ingo Falkenberg von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in der Region Hannover. Die Zahlen aus dem Ministerium decken sich mit den Erfahrungen, die der Bereichsleiter für psychosoziale Dienste in mehrjähriger Praxis machte. Betroffen sei­en nicht nur ältere Menschen, häufig werde Betreuung für Jüngere mit einer Sucht oder psychischen Erkrankungen nötig.

Liegt keine Vollmacht vor, wird die gerichtliche Bestellung eines Betreuers nötig. Dem Justizministerium zufolge sind das oft Familienangehörige oder nahestehende Menschen. Es könnten auch andere ehrenamtlich tätige Personen oder selbstständige Berufsbetreuer mit der Aufgabe betraut werden. Tritt ein Betreuungsfall ein, sind laut Ministerium haupt­sächlich die Amtsgerichte zuständig. Zudem gebe es auch Betreuungsvereine und sozial­psychiatrische Beratungsstellen.

Jährlich kommen nach Angaben des Justizministeriums etwa 40.000 neue Verfahren in Niedersachsen hinzu. Eine ähnlich hohe Zahl werde etwa durch den Tod von Betroffenen auch beendet, der Arbeitsaufwand bei den zuständigen Amtsgerichten sei aber hoch. Als Vergleich nennt der Ministeriumssprecher rund 37.000 Anklagen, die 2018 bei den Amts­gerichten eingegangen seien. In mehr als der Hälfte der Verfahren werde ein ehrenamtli­cher Betreuer bestellt. Im Durchschnitt dauere ein Betreuungsverfahren 7,3 Jahre.

Für den AWO-Experten Falkenberg könnte sich die Situation durch immer komplexer wer­­d­ende Sozialleistungen weiter verschärfen. Immerhin beginne derzeit ein Reformprozess, der Betreuungsvermeidung und eine Stärkung der Selbstbestimmung zum Ziel habe. Im Sommer stimmte der Bundesrat zudem einer höheren Vergütung von Berufsbetreuern zu. © dpa/aerzteblatt.de