Ärzteschaft

Mittwoch, 3. Juli 2019

/dpa

Frankfurt/Main/Gießen – Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat die Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel wegen unerlaubter Werbung für Schwanger­schafts­­­abbrüche aufgehoben. Hintergrund sei die seit Ende März geänderte Rechts­lage, teilte das Gericht heute in Frankfurt mit. Das Landgericht Gießen müsse sich nun erneut mit dem Fall befassen (Az.: 1 Ss 15/19).

Hänel war im November 2017 vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden. Das Gericht begründete dies damit, dass Hänel auf ihrer Inter­netseite für Schwangerschaftsabbrüche werbe, was gegen den Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch verstoße, der das öffentliche Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen untersagt. Der Fall hatte in Deutschland eine breite Debatte darüber ausgelöst, welche Informationen Ärzte zu Schwangerschaftsab­brü­chen straflos geben dürfen.

Hänels Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil wies das Landgericht Gießen im Oktober 2018 ab. Ihr Anwalt hatte damals in seinem Plädoyer den Paragrafen 219a in seiner jetzigen Form als verfassungswidrig bezeichnet, da er die Berufsfreiheit von Ärzten und das Informationsrecht der schwangeren Frauen verletze.

Schließlich wurde Ende März dieses Jahres der umstrittene Paragraf um einen Absatz ergänzt, der Klarheit und Rechtssicherheit für Ärzte, Krankenhäuser und andere Ein­richtungen schaffen soll, unter welchen Voraussetzungen sie straflos öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen. Das Oberlandesgericht in Frankfurt wies darauf hin, dass die neue Rechtslage zu einer günstigeren Bewertung für die Angeklagte führen könne.

Kein Erfolg

Hänel sieht in der Entscheidung keinen Erfolg. Sie müsse jetzt eine „Ehrenrunde“ vor dem Landgericht Gießen drehen, bevor die Frage vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt werden könne, sagte sie dem Hessischen Rundfunk.

Das OLG Frankfurt habe sich um die Entscheidung gedrückt. Die Frage laute, ob auch nach dem neuen Para­graf 219a ihre Informationen weiter strafbar seien. Die Antwort sei eigentlich ganz klar, die Informationen seien weiter strafbar. Dies habe auch jüngst ein Urteil des Berliner Amtsgerichts gegen zwei Ärztinnen gezeigt.

Hänel sagte, deshalb könne das Landgericht Gießen gar nicht anders entscheiden, sondern habe nur die eine Chance, den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorzule­gen. „Ich will ja zum Bundesverfassungsgericht, damit das endlich mal geklärt wird“, betonte sie.

Nach monatelanger Debatte war Ende März dieses Jahres der Paragraf 219a um einen Absatz ergänzt worden. Ärzte und Kliniken können demnach öffentlich darüber informieren, dass sie Abtreibungen vornehmen. Für weitere Informationen etwa zu verschiedenen Methoden müssen sie aber auf offizielle Stellen wie die Bundes­ärzte­kammer (BÄK) verweisen.

Hänel hatte den auf Bundesebene ausgehandelten Kompromiss bereits damals kriti­siert. Frauen wollten sich dort informieren, wo sie sich behandeln ließen, das sei allgemein üblich. Das hinter Paragraf 219a stehende Frauenbild sei entwürdigend und entmündigend, denn es besage, Frauen könnten durch Informationen für einen Schwangerschaftsabbruch geworben werden. Er greife auch in ihre Meinungs- und Berufsfreiheit ein, sagte Hänel.

Auch gegen zwei Kasseler Frauenärztinnen laufen Verfahren. Eine von ihnen, Nora Szász, äußerte sich ebenfalls nicht glücklich über die Entscheidung: „Das ist, als ob wir in einer Schleife wären.“ Auch bei einer erneuten Verhandlung in Gießen habe man keinen Grund anzunehmen, dass Hänel freigesprochen oder das Verfahren eingestellt werde. Es werde nur Zeit und Geld kosten. Das Kasseler Verfahren war im August auf unbestimmte Zeit ausgesetzt worden. Das Amtsgericht erklärte, erst die politische Entwicklungen abwarten zu wollen. Das Gericht habe noch nicht mitgeteilt, wie es weiter verfahre, sagte Szász.

Urteil in Berlin

In Berlin sind erst im Juni zwei Frauenärztinnen wegen Verstoßes gegen das kürzlich reformierte Werbeverbot für Schwan­gerschafts­abbrüche vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten zu Geldstrafen ver­urteilt worden. Die Frauen hatten auf der Internetseite ihrer Gemeinschaftspraxis darüber informiert, dass in ihrer Praxis Abbrüche mit der medikamentösen Methode vornehmen.

„Die Sachlage ist einfach“, sagte die Vorsitzende Richterin Christine Mathiak zu dem Urteil. Es sei auch nach der Reform des Paragrafen 219a nicht erlaubt, die Methode der Abtreibung auf der eigenen Webseite zu nennen. Die Richterin betonte, dass sie das Gesetz nicht für verfassungswidrig hält, wohl aber für ein politisch sehr kontrover­ses Thema. Ihrer Ansicht nach ist das durch die Ärztinnen verübte Unrecht nur „sehr, sehr gering“, fügte Mathiak hinzu.

Unterschiedliche Meinungen in der Politik

Die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Elisabeth Winkel­meier Becker, erklärte, die Neuregelung des Paragrafen 219a vom März sei nach wie vor tragfähig. „Es ist gut, dass die Neuregelung für alle Seiten rechtssicher abgrenzt, was geht und was nicht geht und notwendige Informationen gewährleistet.“

Die Grünen sehen in der Urteilsaufhebung keinen Grund zur Freude. Klar sei nur, dass der Fall neu geprüft werden müsse. Ulle Schauws, Sprecherin für Frauenpolitik, und Katja Keul, Sprecherin für Rechtspolitik, erklärten, die Reform des Paragrafen 219a habe nicht zu mehr Informations- oder Rechtssicherheit geführt. „Ärztinnen und Ärzte werden weiterhin kriminalisiert, wenn sie sachlich auf ihrer Homepage über Schwangerschaftsabbrüche informieren.“ Deshalb müsse der Paragraf gestrichen werden.

Auch der stellvertretende FDP-Fraktionschef Stephan Thomae forderte „dringend“, den Paragrafen ganz abzuschaffen. „Es ist absurd, dass sachliche Informationen von Ärzten strafbares Unrecht darstellen, dieselben Informationen von Beratungsstellen hingegen staatlicher Auftrag sind.“

Die Bundes­ärzte­kammer bezeichnete die heutige Aufhebung des Urteils des Landge­richts Gießen aufgrund der geänderten Rechtslage als „folgerichtig“Es bleibe abzu­warten, wie das Landgericht Gießen den Sachverhalt vor dem Hintergrund der neuen Rechtslage strafrechtlich bewerte.

Der Präsident der Ärztekammer Hessen, Edgar Pinkowski, zeigte sich erfreut über die Entscheidung. Diese sei ein Ende der Kriminalisierung von Ärzten, die ihre Patien­tinnen sachgerecht informierten und behandelten. © afp/dpa/may/aerzteblatt.de