Politik

Donnerstag, 4. Juli 2019

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Berlin – Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Suizidbeihilfe von Ärzten hat heute weitere Reaktionen hervorgerufen. Die Vorsitzende des Europäischen Ethik­ra­tes, die Kölner Medizin-Ethikerin Christiane Woopen, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, das Urteil mache deutlich, dass „Ärzte ihre Patienten bei einer selbstbe­stimmten Selbsttötung nicht alleine lassen müssen, sondern sie begleiten dürfen“.

Eine Selbsttötung solle niemals eine normale Option sein, betonte Woopen. Es gehe immer um existenzielle Ausnahmesituationen. Und die Gesellschaft sollte alles dafür tun, um Perspektiven für das Weiterleben zu eröffnen. Wenn aber ein Mensch nach gründlichem Überlegen in Ausübung seiner Selbstbestimmung sich selbst töten wolle, „dann sollte er dies unter würdigen Umständen und in Begleitung tun können“.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach äußerte sich ähnlich. „Bei unheilbar Kran­ken mit starken Schmerzen ist die ärztliche Sterbehilfe ethisch nicht zu verbieten“, meinte er. Zustimmung kam auch von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Präsident Lukas Radbruch erklärte in Berlin, es sei völlig widersinnig, wenn Ärzte gegen den ausdrücklichen Willen des Suizidwilligen lebenserhaltende Maßnahmen durchführen müssten.

Das Urteil gebe den Ärzten Sicherheit. Radbruch mahnte zugleich Ärzte und andere beteiligte Berufsgruppen, sich mit Sterbewünschen besonders verantwortungsvoll auseinanderzusetzen. Zunächst müsse immer nach den Ursachen und Hintergründen für den Sterbewunsch geforscht werden; alle Optionen zur Linderung des Leidempfin­dens müssten angeboten werden.

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) sieht das Urteil kritisch. ÄKWL-Präsident Theodor Windhorst bedauerte die Entscheidung und verwies auf die ärztlich-ethische Versorgungsphilosophie. „Hilfe zur Selbsttötung ist und bleibt keine ärztliche Aufgabe. Das Sterben lässt sich nicht in juristische Kategorien einteilen“, sagte er heute.

Deshalb sei stets eine Einzelfallbetrachtung vonnöten, um die Würde des Menschen in der Sterbephase zu erhalten. Die Entscheidung über ärztliches Handeln liege mit letzter Verantwortung beim Arzt und Patienten selbst. „Ärztinnen und Ärzte tragen eine große Verantwortung bei der Sterbebegleitung. In der Stunde der Not lässt der Arzt seinen Patienten und auch dessen Angehörige nicht im Stich. Jede Ärztin, jeder Arzt ist ein Sterbebegleiter, aber kein Suizidunterstützer“, betonte Windhorst.

Die Umsetzung des Sterbewunsches eines Patienten sei für den Arzt ethisch und ge­setzlich nicht vertretbar. Dies sei auch klar in der Berufsordnung der ÄKWL verankert, wonach Ärzte Sterbenden unter Wahrung und Achtung von deren Willen und Würde beizustehen haben, es ihnen aber verboten sei, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Windhorst: „Ärzte sollen keine Hilfe zum Suizid leisten. Selbsttötung ist keine Therapie, Wegschauen ist keine Hilfe.“

Erste Reaktionen kamen bereits gestern

Deutliche Kritik hatte es bereits gestern von der Bundes­ärzte­kammer (BÄK), der Ärzte­kammer Hamburg und der Ärztegewerkschaft Marburger Bund gegeben. Es müsse betont wer­den, dass die Beteiligung an Selbsttötungen nicht zu den ärztlichen Aufgaben zähle, erklärte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt. Es wäre fatal, wenn die Erwartung geweckt würde, es gäbe einen Anspruch auf ärztliche Assistenz beim Suizid.

Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, erklärte, das Urteil schaffe neue Probleme. Denn die ärztliche Berufsordnung stelle eindeutig klar, dass Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürften. Henke warnte vor einer „schleichenden Legalisierung des ärztlich begleiteten Suizids“.

Der Bundesgerichtshof hatte gestern zwei Ärzte freigesprochen, die kranke Menschen beim Sterben begleitet hatten. Weil sie nicht versuchten, sie zu retten, standen sie wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht. Der Verein Sterbehilfe Deutschland wertete das Urteil als „epochale Abkehr“ von früheren Urteilen. 1984 hatte der BGH entschieden, dass der Sterbehelfer zur Lebensrettung verpflichtet ist, sobald der Suizident bewusstlos geworden ist. © kna/may/aerzteblatt.de