Haben sich bei einem mangels ordnungsgemäßer Aufklärung rechtswidrigen ärztlichen Eingriff nur Risiken verwirklicht, über die nicht aufzuklären war, kommt ein Wegfall der Haftung des Arztes für Aufklärungsversäumnisse lediglich dann in Betracht, wenn der Patient wenigstens eine Grundaufklärung über die Art und den Schweregrad des Eingriffs erhalten hat; das gilt auch dann, wenn das realisierte nicht aufklärungspflichtige Risiko mit den nicht realisierten aufklärungspflichtigen Risiken nach Bedeutung und Auswirkung für den Patienten nicht vergleichbar ist.

Ein Arzt haftet grundsätzlich für alle den Gesundheitszustand des Patienten betreffenden nachteiligen Folgen, wenn der ärztliche Eingriff nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gedeckt und damit rechtswidrig ist und den Arzt ein Verschulden trifft.

Eine wirksame Einwilligung des Patienten setzt dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraus.

Im hier entschiedenen Fall war die Patientin vor der Durchführung der Spritzentherapie nicht über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt worden. Ihr ist nicht einmal ein Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittelt worden, die für ihre Lebensführung auf sie zukommen können; ebenso wenig ist ihr das schwerste der in Betracht kommenden spezifischen Risiken der Spritzentherapie das Risiko einer Meningitis mitgeteilt worden. Die rechtswidrige Spritzentherapie war kausal für die bei der Patientin eingetretenen psychoreaktiven Folgen in Form der Myoklonien. Danach waren die mit der letzten Injektion einhergehenden Schmerzen auslösendes Moment für die von der Patientin entwickelte Konversionsneurose (dissoziative Bewegungsstörung).

Die Ersatzpflicht des für eine Körper oder Gesundheitsverletzung einstandspflichtigen Schädigers erstreckt sich regelmäßig auf psychisch bedingte Folgewirkungen des von ihm herbeigeführten haftungsbegründenden Ereignisses. Dies gilt auch dann, wenn sie auf einer psychischen Anfälligkeit des Verletzten oder in sonstiger Weise auf einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen. Dementsprechend ist eine Haftung im Fall einer Konversionsneurose, wie sie nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei der Patientin in Folge der streitgegenständlichen Behandlung aufgetreten ist, bereits bejaht worden. Anhaltspunkte für die Annahme eines Bagatellfalls oder einer reinen Begehrensneurose der Patientin, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausnahmsweise einer Haftung des Schädigers für psychisch bedingte Folgewirkungen entgegenstehen könnten5, wurden im vorliegenden Fall nicht festgestellt.

Anders als in der Vorinstanz das Oberlandesgericht Celle hat der Bundesgerichtshof aber den Zurechnungszusammenhang zwischen dem rechtswidrigen Eingriff und den bei der Patientin aufgetretenen Myoklonien nicht aus Schutzzweckerwägungen verneint:

Die Einwilligung in den ärztlichen Eingriff kann nur insgesamt erteilt oder verweigert werden. Aus diesem Grund machen Aufklärungsdefizite, unabhängig davon, ob sich ein aufklärungsbedürftiges Risiko verwirklicht oder nicht, den ärztlichen Eingriff insgesamt wegen der fehlenden Einwilligung des Patienten rechtswidrig und führen bei einem Verschulden des Arztes im Grundsatz zu einer Haftung für alle Schadensfolgen7.

Im Einzelfall kann die Haftung trotz fehlerhafter Aufklärung unter Schutzzweckgesichtspunkten entfallen. Hat sich nur ein Risiko verwirklicht, über das aufgeklärt werden musste und tatsächlich auch aufgeklärt worden ist, so kann aus dem Eingriff regelmäßig keine Haftung abgeleitet werden; dies gilt auch dann, wenn der Patient über andere aufklärungspflichtige Risiken nicht aufgeklärt worden ist, die sich aber nicht verwirklicht haben. Denn in einem solchen Fall hat der Patient das verwirklichte Risiko bei seiner Einwilligung in Kauf genommen, so dass er bei einer wertenden Betrachtungsweise nach dem Schutzzweck der Aufklärungspflicht aus der Verwirklichung dieses Risikos keine Haftung herleiten kann.

Haben sich dagegen wie im Streitfall nur Risiken verwirklicht, über die nicht aufzuklären war, kommt ein Wegfall der Haftung des Arztes für Aufklärungsversäumnisse lediglich dann in Betracht, wenn der Patient wenigstens eine Grundaufklärung über die Art und den Schweregrad des Eingriffs erhalten hat.

Die Grundaufklärung ist nur dann erteilt, wenn dem Patienten ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittelt wird, die für seine körperliche Integrität und Lebensführung auf ihn zukommen können. Dazu gehört in aller Regel auch ein Hinweis auf das schwerste in Betracht kommende Risiko, das dem Eingriff spezifisch anhaftet. Dabei ist unter Grundaufklärung keine vollständige und ordnungsgemäße Risikoaufklärung zu verstehen; vielmehr bleibt die Aufklärung unvollständig und damit fehlerhaft. Die Grundaufklärung vermittelt dem Patienten aber eine allgemeine Vorstellung von dem Schweregrad des Eingriffs und der Stoßrichtung der damit zusammenhängenden Belastungen für seine Lebensführung.

Fehlt es an der Grundaufklärung, dann hat der Arzt dem Patienten die Möglichkeit genommen, sich auch gegen den Eingriff zu entscheiden und dessen Folgen zu vermeiden. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist im Kern genauso tangiert, als wenn der Arzt den Eingriff vorgenommen hätte, ohne den Patienten um seine Zustimmung zu fragen. Er muss dann auch haften, wenn sich ein nur äußerst seltenes, nicht aufklärungspflichtiges Risiko verwirklicht hat.

Im hier entschiedenen Fall hat die Patientin eine Grundaufklärung aber nicht erhalten.

Soweit das Oberlandesgericht Celle aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.02.1989 herleiten will, die Haftung des Arztes könne dennoch unter Schutzzweckgesichtspunkten entfallen, weil sich mit den Myoklonien ein nicht aufklärungspflichtiges Risiko verwirklicht habe, das mit den mitzuteilenden Risiken hinsichtlich der Richtung, in der sich diese auswirken könnten, und nach der Bedeutung für die künftige Lebensführung des Patienten nicht vergleichbar sei, trifft dies nicht zu. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof in diesem Urteil bei fehlender Vergleichbarkeit von realisiertem nicht aufklärungspflichtigen und nicht realisiertem aufklärungspflichtigen Risiko Raum für haftungsbegrenzende Schutzzwecküberlegungen lediglich dann gesehen, wenn wenigstens eine Grundaufklärung erfolgt ist.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. Mai 2019 – VI ZR 27/17