Politik

Montag, 20. April 2020

München – In Deutschland gibt es derzeit mindestens 30.058 Intensivbetten. 17.393 da­von sind belegt und 12.665 frei. Das teilte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für In­ten­siv- und Notfallmedizin (DIVI) in München mit.

„Wir haben endlich eine verlässliche Übersicht über alle Intensivkapazitäten in Deutsch­land erreicht“, erklärte DIVI-Präsident Uwe Janssens. Er sprach von einer „fantastischen“ Zahl. Dieses Wissen verschaffe Medizinern und Politikern eine kleine Atempause – nicht zu verwechseln mit falscher Euphorie. „Wir sind noch lange nicht über den Berg“, so Janssens.

Seit drei Tagen gilt die Meldepflicht für alle deutschen Kliniken mit Intensivbetten. So mel­den mehr als 95 Prozent der Krankenhäuser jetzt ihre freien und belegten Intensiv­betten täglich an das DIVI-Intensivregister. Die 100-Prozent-Abdeckung erwarten Jans­sens und das Team von DIVI und Robert-Koch-Institut in der kommenden Woche.

Vorrangiges Ziel des Intensivregisters ist es, die Verfügbarkeiten von Beatmungsbetten und von erweiterten Therapiemaßnahmen bei akutem Lungenversagen in Deutschland sichtbar zu machen. Ebenfalls zu übermitteln sind die Anzahl von Patienten mit einer COVID-19-Infektion, die intensivmedizinisch behandelt werden, die beatmet werden oder die seit dem 1. Januar 2020 aus dem Krankenhaus entlassen wurden.

Engpass im Raum Frankfurt-Offenbach

Dass es trotz der hohen Zahlen Engpässe geben kann, zeigt das Beispiel Hessen. Wegen einer hohen Zahl von beatmeten Patienten im Raum Frankfurt-Offenbach erhöht das Land Hessen dort die Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19-Patienten.

„Dies unterstreicht, dass es keine Entwarnung gibt: Das Virus ist weiterhin vorhanden und es hat jedes Potenzial, Menschen zu infizieren und lebensbe­drohlich erkranken zu lassen“, sagte Hessens Sozialminister Kai Klose in Wiesbaden.

Aufgrund der hohen Zahl der beatmungspflichtigen Patienten habe das Versorgungsge­biet Frankfurt-Offenbach Stufe 2 des vierstufigen Systems erreicht. Der Stufenplan des Landes sieht vier Stufen vor, die sich an Kriterien wie der Bettenkapazitäten für Beat­mungspatienten, orientieren.

Bisher befanden sich alle sechs hessischen Versorgungsgebiete in der Stufe 1. Stufe 2 gilt laut Klose unter anderem, wenn 50 Prozent der Gesamtkapazität der Kliniken belegt sind, die aufgrund ihrer Intensiv- und Beatmungsplätze als „Level-I-Häuser“ gelten.

Mit dem Ausrufen der Stufe 2 müssen im Versorgungsgebiet zusätzliche Intensiv- und Be­atmungskapazitäten aufgebaut werden. Außerdem werde die Verlegung von Patienten in andere Versorgungsgebiete geplant.

Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem warnte unterdessen in der Coronakrise vor zu viel künstlicher Beatmung in deutschen Krankenhäusern. „Kliniken versuchen Patienten mög­lichst lange zu beamten“, sagte er der Welt. Mit künstlicher Beatmung werde „richtig viel Geld gemacht“. Das sei ein Fehlanreiz des Fallpauschalensystems, so der Lehrstuhlin­ha­ber für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen. Der finanzielle Anreiz für Beatmungen müsse geschwächt werden.

Im Moment sei die Vergütung nach Stunden gestuft, erklärte der Ökonom. Sie steige deut­lich an, wenn die Beatmung etwa mindestens 95 Stunden beträgt. Es gebe daher wenige Patienten, die 94 Stunden beamtet werden.

Eine Schwächung des finanziellen Anreizes sei allerdings schwierig, wenn der Nutzen von Beatmungstherapien medizinisch umstritten sei, so Wasem. „Da muss es erst mal einen Konsens in der Wissenschaft geben, wann diese bei COVID-19-Patienten tatsächlich not­wendig sind.“

Die Entwicklung der vergangenen Jahre hin zu mehr Beatmungskapazitäten zahle sich in Pandemiezeiten allerdings auch aus, betont Wasem. „Wir stehen in der Coronakrise relativ gut da, weil wir diese Fehlanreize zugelassen und heute viele Beatmungsbetten haben.

Das ist pervers, aber das ist so.“ Bei einer Abschwächung der Vergütung müsse man auf­passen, „nicht über das Ziel hinauszuschießen“. Für ein Krankenhaus dürfe es nie ökono­misch schädlich sein, Patienten zu beatmen. „Das könnte sonst Menschenleben kosten.“ © kna/dpa/afp/aerzteblatt.de