Politik
Mittwoch, 10. Juli 2019
/benjaminnolte, stock.adobe.com
Berlin – Die Frage, was Notfallsanitäter im Einsatz für Befugnisse haben, wird immer wieder diskutiert. Zuletzt gab es sogar im März ein Signal aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), über Änderungen nachzudenken. Der ehemalige Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Rainer Hess, hat das Thema nun erneut aufgegriffen.
Hess sprach sich kürzlich auf dem Kongress „Wege zum Rettungsdienst der Zukunft“ der Björn Steiger Stiftung in Berlin für eine Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten an Notfallsanitäter aus. „Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass Notfallsanitäter nur auf Weisung von Ärzten tätig werden können“, sagte Hess.
Der Jurist befürwortete, dass Notfallsanitäter künftig zwar in Abstimmung mit dem Notarzt, aber auch mit einer gewissen Eigenständigkeit agieren sollten. Dafür müsse man positiv formulieren, was Notfallsanitäter dürften, meinte er: ein eigenständiges und bundeseinheitliches Tätigkeitsprofil.
Im Rahmen der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg gebrachten Reform der Notfallversorgung könne der G-BA damit beauftragt werden, Qualitätsanforderungen im Rahmen des Rettungseinsatzes zu definieren, schlug Hess vor. Dazu könnten dann auch Qualifikationsvoraussetzungen gehören: „Wer darf was im Rettungswagen?“
Dadurch habe man die Chance, bundeseinheitliche Vorgaben zu machen, die flächendeckend umgesetzt werden könnten. „Es muss bundesweit geklärt werden, was Notfallsanitäter dürfen“, meinte Hess. „Es kann nicht sein, dass jedes Bundesland etwas Eigenes definiert.“
Einheitliche Vorgaben notwendig
Dem stimmte Jürgen Baetzen, Leiter des Fachbereichs „Rettungsdienst und Bevölkerungsschutz“ im Kreis Kleve, zu. „Vom Gesetzgeber wurde den ärztlichen Leitern der Kreise und kreisfreien Städte übertragen zu entscheiden, was Notfallsanitäter tun dürfen und was nicht“, sagte er. „Das führt dazu, dass es nicht nur zwischen den Bundesländern, sondern auch zwischen den einzelnen Trägern des Rettungsdienstes Unterschiede in der Auslegung des Notfallsanitätergesetzes gibt.“
Für alle Beteiligten sei diese Lösung nicht zufriedenstellend, weil es keine klaren und einheitlichen Vorgaben gebe. „Jede ärztliche Leitung muss Maßnahmen vorgeben, individuell überprüfen und verantworten“, sagte Baetzen. „Und Notfallsanitäter können möglicherweise mehr, als ihnen übertragen wird. Wir brauchen eine einheitliche Vorgabe oder Liste des Gesetzgebers mit Tätigkeiten, die Notfallsanitäter grundsätzlich durchführen dürfen.“
Beruf wurde 2013 verändert
2013 hatte der Bundestag ein neues Notfallsanitätergesetz beschlossen. Der bisherige Beruf des Rettungsassistenten wurde damit in die Berufsbezeichnung „Notfallsanitäter“ überführt. Die Ausbildung wurde von zwei auf drei Jahre verlängert. Zudem wurden dem Notfallsanitäter weitere Aufgaben übertragen.
Bundesärztekammer (BÄK) und andere Ärzteverbände hatten damals bereits die Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten kritisiert. „Durch die beabsichtigte unbegrenzte Übergabe der ärztlichen Maßnahmen an Notfallsanitäterinnen und -sanitäter, die durch eine dreijährige Ausbildung nicht annäherungsweise auf die Folgeabschätzung ihres Handelns, insbesondere auf die Beherrschung der möglichen Komplikationen, vorbereitet werden, ist eine Verschlechterung der notfallmedizinischen Versorgung und eine Verminderung der Patientensicherheit zu befürchten“, heißt es in einer damaligen Stellungnahme der BÄK.
Für Kritik von Ärzten hatte damals vor allem gesorgt, dass Notfallsanitäter in der Erstversorgung „in besonderen Fällen“ seit den Änderungen auch invasive Maßnahmen durchführen dürfen. „Eine solche Situation ist gegeben, wenn das Leben des Patienten in Gefahr ist oder es wesentlichen Folgeschäden vorzubeugen gilt, die durch Verzögerungen von Hilfeleistungen drohen“, heißt es in der Begründung des Gesetzestextes. „Es muss sich um eine konkrete Gefährdungssituation handeln, die insbesondere voraussetzt, dass eine Ärztin oder ein Arzt nicht rechtzeitig anwesend sein kann.“
In diesem Fall diene die Übernahme von Tätigkeiten, die normalerweise der ärztlichen Behandlung vorbehalten sind, dem Schutz des Lebens oder der Gesundheit des Patienten als besonders hohem Schutzgut. „Die Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten ist zeitlich befristet“, heißt es weiter. „Sie besteht nur bis zum Eintreffen einer notärztlichen oder sonstigen ärztlichen Versorgung.“
Ruf nach Versicherung
Im März hatten Notfallsanitäter und Deutsches Rotes Kreuz darauf hingewiesen, dass die Abgrenzung für das Handeln des Notfallsanitäters im Einsatz problematisch ist. Je nach Fall und Einschätzung seien Notfallsanitäter demzufolge nicht über eine Versicherung abgesichert und müssten im Zweifelsfall mit ihrem Privatvermögen haften. Handelten sie hingegen im Einsatz nicht, könnten sie auch wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt werden.
Spahn hatte damals erklärt, dass ihm das Versicherungsproblem nicht bekannt sei. Er wolle gegebenenfalls mit Versicherern das Gespräch suchen. Grundsätzlich verwehre er sich nicht dagegen, das Gesetz noch einmal zu überprüfen, sagte Spahn. Allerdings könnten auch Änderungen konkrete Situationen nicht abschließend regeln. „Für jede Notsituation wird es am Ende nicht ganz ohne Ermessen gehen – selbst wenn wir das Gesetz ändern.“ Es gebe letztlich einen „Teil von Tätigkeiten“, der „grundsätzlich ärztlichem Tun, der Heilkunde, vorbehalten“ sei, sagte der Minister im März.
© fos/may/aerzteblatt.de