Politik

Dienstag, 7. April 2020

/dpa

Berlin – Besonders unter betagten, multimorbiden COVID-19-Patienten ist die Mortalität hoch. Deshalb steigt derzeit die Sorge in deutschen Pflegeheimen, dass sich Bewohner mit SARS-CoV-2 infizieren.

„Die Sorge ist vollkommen berechtigt“, erklärte Irmgard Landgraf. Die Fachärztin für In­ne­re Medizin betreibt eine internistische Hausarztpraxis am Agaplesion Bethanien Sophien­haus in Berlin. „Sollte in unser Haus SARS-CoV-2 eingeschleppt werden, müssen wir mit vielen Coronavirus-Todesfällen rechnen“, sagte sie dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ).

Landgraf betreut in dem Pflegeheim 103 überwiegend alte oder hochbetagte multimorbi­de Patienten mit einem durchschnittlichen Pflegegrad 4 sowie 43 Pflegeheimbewohner jeden Alters mit chronischen psychiatrischen Erkrankungen.

Um die Heimbewohner vor dem Coronavirus zu schützen, sei zunächst ein eingeschränk­tes, seit dem 16. März dann ein komplettes Besuchsverbot umgesetzt worden, erzählt Landgraf. Aktuell können nur in begründeten Fällen einzelne Besucher ins Haus kommen.

Insofern findet die Hausärztin die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Allgemein­medizin und Familienmedizin (DEGAM), Bewohner von Pflegeheimen nur in dringenden Fällen zu besuchen, „genau richtig“.

Einige Bewohner sind froh über die Isolierung

Durch Video-Telefonie werde den Bewohnern des Sophienhauses die Möglichkeit gege­ben, regelmäßigen Kontakt zu ihren Angehörigen zu haben. „Das wird erstaunlich gut an­genommen“, sagte Landgraf. „Außerdem können die Angehörigen über die im Haus ge­nutz­te Myo-App digital am Pflegeheimalltag ein Stück weit teilnehmen.“

Zudem können die Bewohner auch einzeln auf den Balkon der Station gebracht werden und dort mit ihren im Garten stehenden Angehörigen Kontakt aufnehmen. So komme es nicht zu der befürchteten sozialen Isolation, erläuterte Landgraf.

Von den meisten Angehörigen und Bewohnern werde das Besuchsverbot akzeptiert, auch wenn es einigen schwerfalle. „Einige unserer Bewohner sind sogar sehr froh darüber, dass sie so vor dem Einschleppen des Coronavirus geschützt werden“, so Landgraf. Bei keinem ihrer Heimbesuche habe sie Klagen über den fehlenden Besuch von Angehörigen gehört.

Keine Regelvisiten mehr

Bislang fand bei den multimorbiden, alten Heimbewohnern alle drei bis vier Wochen eine Regelvisite statt. „Diese Visiten führen wir zur Entlastung des Pflegepersonals aktuell nicht durch, denn Pflegekräfte brauchen nun mehr Zeit für ein größeres Beschäftigungs­an­gebot und für die Videotelefonie, die sie den Pflegeheimbewohnern ermöglichen“, er­klärt Landgraf.

Einmal in der Woche erfolgt für jeden ihrer Patienten eine Online-Visite auf der Basis ei­ner elektronischen Pflegeakte. Bei bedarfsorientierten Besuchen im Heim „beanspruchen wir, gut vorbereitet mit Informationen über die digitale Pflegeakte, das Pflegepersonal wenn überhaupt nur kurz“, so Landgraf.

Schon vor der Pandemie sei es Standard gewesen, die Station nur nach einer vor der Tür durchgeführten Händedesinfektion zu betreten. „Jetzt tragen wir zusätzlich Atemschutz­masken, bei besonders kranken Patienten nutzen wir FFP3-Masken“, so die Ärztin. Auch alle Pflegekräfte tragen Mund-Nase-Schutz-Masken.

Noch nie so wenige Infekte wie aktuell

Landgraf betont, dass bereits seit 1996 alle Heimbewohner geimpft würden: „Grippe- und Pneumokokkenschutz haben fast 100 Prozent meiner dort lebenden Patienten, Tetanus- und damit Pertussisschutz alle mobilen Patienten, wenn sie und ihre Angehörigen dem nicht ausdrücklich widersprechen.“ Mit Beginn der Pandemie seien noch einmal alle Impf­lücken geschlossen worden. „Wir hatten, so lange ich mich erinnern kann, noch nie so we­nige von Infekten betroffene Patienten im Pflegeheim wie aktuell“, betont Landgraf.

Das größte Problem sei zurzeit die fehlende Schutzausrüstung. „Damit die einfachen Mund-Nase-Schutz-Masken nicht tagelang eingesetzt werden müssen, werden nun so­wohl für die Pflegekräfte im Heim als auch für uns in der Praxis Mundschutzmasken ge­näht“, berichtet Landgraf. „In der Praxis haben uns schon einige Patienten selbstgenähte Masken geschenkt. Falls wir mehr Schutzkittel benötigen, werden wir notfalls auf wasch­bare Schutzkleidung zurückgreifen.“

Digitalisierung, Vernetzung, Telemedizin

Ganz wichtig sei aber, dass alle wissen, was zu tun sei. „In der Praxis kläre ich Patienten und Angehörige während der Sprechstunde auf“, erklärte Landgraf. „Mit dem Praxisperso­nal finden regelmäßige Teambesprechungen statt. Und im Pflegeheim führen wir regel­mäßige Fortbildungen durch – demnächst wahrscheinlich in Form von E-Learning-Ange­boten.“

Landgraf resümiert: „Für meinen ärztlichen Versorgungsalltag während dieser Pandemie kann ich nur sagen, dass Digitalisierung, Vernetzung und Telemedizin ganz wesentlich da­zu beitragen, dass wir trotz der Bedrohung durch SARS-CoV-2 noch eine gute Versor­gungsqualität für alle anderen behandlungsbedürftigen Erkrankungen bieten können.“

Alle nicht notwendigen Arztbesuche vermeiden

Auch in der Katharinenhof Seniorenwohn- und Pflegeanlage Betriebs-GmbH, die in Ber­lin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen und Sachsen Pflegeheime mit insgesamt etwa 2.500 Plätzen betreibt, wird derzeit alles dafür getan, damit sich die Bewohner nicht mit dem Coronavirus infizieren.

„Im Unternehmen gibt es ein Corona-Lenkungsteam, das regelmäßige Reports aus unse­ren Einrichtungen zusammenfasst, bewertet und Maßnahmen ableitet“, sagt der Vorsit­zende der Geschäftsführung, Jochen Schellenberg, zum .

Der Katharinenhof verfügt über einen eigenen Pandemieplan. „Wir achten auf strengstes Einhalten der Hygieneregeln und haben ein Besuchsverbot für unsere vollstationären Pflegeeinrichtungen ausgesprochen – mittlerweile ist das auch behördlich angeordnet“, so Schellenberg.

„Wir schulen unsere Mitarbeiter, kommunizieren sehr viel mit den Bewohnern, Angehöri­gen, Mitarbeitern und arbeiten sehr eng mit den Aufsichtsbehörden sowie unseren Hausärzten zusammen.“ Dabei würden alle nicht wirklich notwendigen Arztbesuche nach Abstimmung mit den Bewohnern vermieden. „Aber wenn jemand akut ärztliche Hilfe benötigt, muss schnell geholfen werden“, so Schellenberg. © fos/aerzteblatt.de