Politik

Donnerstag, 2. Januar 2020

/picture alliance / Friso Gentsch/dpa

Bonn –Deutschlands Krankenhäuser müssen umdenken. „Die Zahl der Patienten mit Demenz nimmt in den Krankenhäusern stetig zu“, mahnt der Vorsitzende des Katholischen Krankenhausverbandes Deutschland (kkvd), Theo Paul. „Für sie müssen die Krankenhäuser besondere Sorge übernehmen.“

Einig sind sich die Experten auch, dass das Problem in der alternden Gesellschaft zunehmen wird. 2016 wurden in Deutschland 8,56 Millionen Patienten über 65 Jahren stationär in allgemeinen Fachabteilungen behandelt. Das entspricht einem Anteil von 44,7 Prozent aller Behandelten. Tendenz steigend.

„Vielfach werden Demenzerkrankungen erst während des Klinikaufenthaltes bemerkt, manchmal gar nicht“, betont die Deutsche Alzheimer Gesellschaft. Die Patienten kommen mit Knochenbrüchen oder Lungenentzündungen, benötigen aber häufig viel mehr als die übliche Behandlung.

Eine Ende 2018 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte repräsentative Studie zu Kranken­häusern in Bayern und Baden-Württemberg zeigt das Ausmaß des Problems. Danach wiesen 40 Prozent der über 65 Jahre alten Krankenhauspatienten kognitive Beeinträchtigungen auf, mehr als 18 Prozent waren an Demenz erkrankt. Nur bei 36,7 Prozent der Patienten mit Demenz enthielt die Krankenakte entsprechende Hinweise.

Das Problem ist dramatisch unterschätzt

„Die meisten Krankenhäuser sind bisher nicht auf Menschen mit Demenz eingestellt“, kritisiert die Alzheimer Gesellschaft. Das Problem werde dramatisch unterschätzt, betont Vorstandsmitglied Winfried Teschauer. „Bei etwa 17 bis 18 Millionen Behandlungsfällen im Jahr sprechen wir also über Millionen von Patienten“, so der Gerontologe. In einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung gaben 82 Prozent der Pflegekräfte in Akutkrankenhäusern an, immer häufiger mit demenzkranken Patienten zu tun zu haben. Aber nur 30 Prozent fühlen sich ausreichend qualifiziert.

„Für Menschen mit Demenz ist das Krankenhaus ein gefährlicher Ort“, mahnte die Deutsche Stiftung Patientenschutz am Donnerstag. Demenzkranke, die abrupt aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen werden, werden oft orientierungslos und entwickeln Ängste. Sie verstehen die Abläufe und die starren Vorgaben im Krankenhaus nicht und haben keine Bezugspersonen. Im Extremfall versuchen sie, aus der Klinik zu fliehen. „Diese Mangelsituation führt nicht selten zu unnötiger Verabreichung von Schlafmedikamenten und zu fragwürdigen Fesselungen von Patienten“, warnt der Kölner Pflegewissenschaftler Michael Isfort.

Demenzbegleiter im Krankenhaus gefordert

Die Patientenschutz-Stiftung fordert deshalb spezielle Demenzbegleiter, die solche Patienten auf allen Stationen betreuen. Zwar koste das zusätzliches Geld, betonte Vorstand Eugen Brysch. Pflegekräfte und Mediziner würden aber deutlich entlastet. Zugleich gibt es immer mehr Krankenhäuser, die eine „demenzsensible“ Versorgung anstreben. Das Malteser Krankenhaus St. Hildegardis in Köln etwa hat seit 2009 eine Spezialstation eingerichtet: Es gibt einen Tagesraum, der gemütlich wie ein Wohnzimmer eingerichtet ist. Ein Farb- und Beleuchtungskonzept bietet Orientierungshilfe. Alle Mitarbeiter sind nach dem schwedischen Konzept Silviahemmet (zu Deutsch: „Silviaheimat“) geschult, das nach Schwedens Königin Silvia benannt ist.

Auch die Alexianer Sankt Hedwig Kliniken in Berlin sind aktiv geworden und haben dafür Mitte Dezember den Sozialpreis des Katholischen Krankenhausverbandes Deutschland (kkvd) erhalten. Ihr Ziel: Patienten mit Demenz mit einem Risiko-Screening schon bei der Aufnahme in das Krankenhaus zu identifizieren und sie dann während der gesamten Behandlung angemessen zu versorgen. Demenzkranke werden beispielsweise bei Untersuchungen zeitlich bevorzugt; Stressfaktoren sollen minimiert werden. Demenzbegleiter und Sozialdienst sollen frühzeitig eingebunden werden.

Erst im November haben das Institut für Sozialforschung in Saarbrücken und die Robert-Bosch-Stiftung einen Praxisleitfaden vorgestellt, der am Beispiel von 17 Projekten zeigt, wie Krankenhäuser demenzfreundliche Strukturen aufbauen können. Es geht um mehr Wissen des gesamten Personals, Anpassungen in Architektur und Ausstattung, aber auch um patientenfreundliche Behandlungsprozesse und die Einbindung von Angehörigen. © kna/aerzteblatt.de