Ärzteschaft

Freitag, 15. Mai 2020

Berlin – Psychotherapeuten sind empört über eine Änderung im zweiten Bevölkerungs­schutzgesetz, die nichts mit der COVID-19-Pandemie zu tun hat, sondern Übergangs­re­ge­ge­lungen bei der Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichen­psychotherapeuten betrifft.

„Die Änderungen kamen quasi über Nacht in den Entwurf“, kritisiert Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV). „Ohne Betei­ligung der psychotherapeutischen Fach- und Berufsverbände wurden hier eilig Elemente des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) geändert, das über Jahre diskutiert und im November 2019 beschlossen wurde. Dieses undemokratische Vorgehen irritiert uns sehr.“

Das „Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von natio­naler Tragweite“, das gestern im Bundestag verabschiedet wurde, sieht in Artikel 19 (TOP 71) eine Änderung des Paragrafen 27 Abs. 2a PsychThG vor.

Dabei wurde die Übergangs­regelung für die reformierte Ausbildung zum Psychotherapeu­ten so erweitert, dass der „alte“ Ausbildungsgang an bestimmten Hochschulen noch für weitere sechs Jahre aufge­nommen werden kann. Zum 1. Oktober sollen nach dem refor­mierten PsychThG an den Universitäten die neuen Studiengänge Psychotherapie starten, die mit einer Approbation zum Psychotherapeuten enden.

Partialinteressen bedient

Begründet wird die Änderung im Bevölkerungsschutzgesetz damit, „die regionale psycho­therapeutische Versorgung sicherzustellen“. „Einer Erweiterung der Übergangsregelung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP) bedarf es nicht. Es hat den An­schein, dass hier Partialinteressen bedient wurden“, sagt Hentschel.

Die Zahlen des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen zeigten, dass ausreichend Absolventen der KJP-Ausbildung für die regionale Versorgung von Kin­dern und Jugendlichen zur Verfügung ständen.

Der geänderte Paragraf 27 Abs. 2a PsychThG spricht einen Bestandsschutz für weitere sechs Jahre einer KJP-Ausbildung an bestimmten, bereits etablierten Studiengängen an Hochschulschulen für angewandte Wissenschaften (HAW)aus.

„Durch die Formulierungen im Gesetz wird deutlich, dass es nur um ein bis zwei Einzel­fälle geht, für die dieser Paragraf außer der Reihe eingebaut wurde und zwar für eine private HAW, nämlich das Winnicott-Institut in Hannover“, sagte Winfried Rief, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Philipps-Universität Marburg. Er spricht von einer „Nacht- und Nebelaktion wohl auf Betreiben des hannoveranischen Wissenschaftsministeriums“.

Psychotherapeuten sprechen von der „Lex Winnicott“, wie zum Beispiel die Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Hessen, Heike Winter auf Twitter: „Raffiniert verpackt im Bevölkerungsschutzgesetz wird eine Änderung des #Psychotherapeuten­gesetz durchge­wunken. Ein #Skandal: eine private FH #lexWinnicott darf weitere 6 Jahre auf deutlich niedrigerem Niveau #KJP mit Bachelor ausbilden.“

„Die entsprechende Hochschule wird durch das auf sie zugeschnittene Gesetz zusätzlich protegiert, in dem gefordert wird, dass sie an den Qualitätsmaßstäben der alten Psycho­therapieausbildung zu messen sei, nicht an den im Herbst 2019 verabschiedeten neuen Qualitätskriterien“, sagte der Hochschulprofessor.

Während von allen Universitäten erwartet werde, ab Oktober die neuen Studiengänge einzuführen, die offensichtlich mit einer deutlich verbesserten Ausbildungsqualifikation und damit auch besserer Patientensicherheit einhergehen als bisher, „wird hier eine nie­dere Ausbildungsqualität für weitere sechs Jahre erlaubt“, so Rief.

„Die Vereinheitlichung der Ausbildungsstandards von Psychologischen Psychothera­peu­ten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten war eine große Errungenschaft der Reform des Psychotherapeutengesetzes“, sagte der DPtV-Bundesvorsitzende Hentschel.

Die Fortführung des alten Ausbildungssystems führe ohne Not zu einem Rückschritt des Berufsstandes. „Wir fordern daher dringend die Streichung der vorgesehenen Regelung in Paragraf 27 Abs. 2a des Psychotherapeutengesetzes.“ Das Gesetz wurde heute im Bundesrat verabschiedet. © PB/aerzteblatt.de