Politik

Dienstag, 3. September 2019

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Wiesbaden – Die Zahl der auf Pflege angewiesenen Menschen in Deutschland steigt wei­ter an. Dabei werden drei Viertel der Pflegebedürftigen allein oder mehrheitlich durch An­gehörige zu Hause versorgt, wie das Statistische Bundesamt heute anlässlich des Ak­tionstag „Pflegende Angehörige“ am kommenden Wochenende mitteilte.

Laut dem jüngsten Stichtag Ende 2017 verzeichnet die Pflegestatistik bundesweit 3,41 Millionen Pflegebedürftige. Das sind mehr als eine halbe Million Menschen mehr als bei der vorausgegangenen Zählung Ende 2015. Für 2018 gibt es noch keine aktuellen statis­tischen Angaben.

Ein Teil des 19-Prozent-Anstiegs ist aller­dings auch auf einen neuen, weiter gefassten Be­griff von Pflegebedürftigkeit zurückzu­füh­­ren. Die Prognosen der Statistiker gehen im Zu­ge der Alterung Deutschlands von einem wei­teren, deutlichen Anstieg der zu pflegenden Personen aus.

Ein Großteil der Pflege in Deutschland lastet laut Statistik auf den Schultern von Fami­lien­angehörigen: Von den 2,59 Millionen zu Hause versorgten Patienten wurden 1,76 Milli­onen ausschließlich von Angehörigen betreut. Etwa 830.000 Personen nahmen für die Pflege in den eigenen vier Wänden Hilfe durch ambulante Pflegedienste in Anspruch. Ende 2015 waren es 690.000.

Die Versorgung durch Angehörige sei „eine Leistung, die nicht hoch genug geschätzt werden kann“, sagte Bundesseniorenministerin Franziska Giffey (SPD). Die bessere Verein­barkeit von Pflege und Beruf müsse als wichtige Zukunftsaufgabe gesehen werden. „Neben dem bereits bestehenden Anspruch auf Familienpflegezeit brauchen wir dafür neue Ideen“, so Giffey. Deshalb prüfe man, wie ein Konzept für ein Familienpflegegeld aussehen könnte.

Die Pflegeexpertin der Linksfraktion im Bundestag, Pia Zimmermann, führte die hohe Zahl pflegender Angehöriger auch auf die fehlende Zahl oder Bezahlbarkeit professio­neller Pflegeangebote zurück. Nötig sei ein umfassendes System sozialer Sicherung und mehr Unterstützung. Linksparteichef Bernd Riexinger sagte: „Ein völlig kaputt gespartes Pflegesystem wird ganz sicher nicht dazu führen, dass dort die bestmögliche Pflege geboten wird.“

Für die Fachsprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Nicole Westig, sind die pflegenden Angehörigen „der mit Abstand größte Pflegedienst“. Deswegen müssten die Bedingungen nicht nur für die professionelle Pflege, sondern auch die Pflege durch Angehörige drin­gend verbessert werden. Dazu gehörten unter anderem mehr niedrigschwellige Angebote zur Beratung und zur Kurzzeit- und Verhinderungspflege.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte einen Rechtsanspruch auf Freistellung vom Arbeitsplatz und eine staatliche Lohnersatzleistung in Anlehnung an das Elterngeld. „Ne­ben verlässlichen Entlastungsangeboten brauchen pflegende Angehörige einen einklag­ba­ren Rechtsanspruch, Zeit und materielle Absicherung“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Es könne nicht sein, dass pflegende Angehörige deutlich schlechter gestellt werden als junge Eltern. Der Anspruch auf befristete Freistellung ohne finanzielle Absicherung nütze im Ernstfall wenig. © kna/dpa/aerzteblatt.de