Politik

Freitag, 5. Juli 2019

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Berlin – Das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter­ium hat in einem neuen Entwurf zum Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) die bisher geplanten Regelungen zur elektronischen Pa­tien­­­tenakte (ePA) gestrichen. Offenbar waren die Regelungen aus einem geplanten Paragrafen 291h bei der Ressortabstimmung mit dem Bundesjustizministerium he­rausgefallen. Es drohte eine Blockade des Gesetzes im Bundeskabinett, heißt es.

Dabei ging es vor allem um die Sicherheit der Daten für die Patientenakte sowie die Frage, welche Anwendungen zuerst auf der Akte verfügbar sein müssen. Kurz nach Veröffentlichung des ersten Entwurfes des Gesetzes im Mai war bekannt geworden, dass Patienten im ersten Schritt keine Zuordnung vornehmen können, welche der be­handelnden Ärzte welche Daten einsehen können. Dies hatte von mehreren Seiten Kritik hervorgerufen.

Diese Regelungen müssen nun offenbar nachgearbeitet werden. Es fehlen damit auch die geplanten Anwendungen, die zu Beginn der ePA zur Verfügung stehen sollten. Da­zu zählen der Impfausweis, der Mutterpass sowie das Untersuchungs­heft für Kin­der und der Zahn-Bonus-Heft.

In der Gesetzesvorlage, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, heißt es, dass „in ei­nem zeitnah folgenden Gesetz“ auch „weitere Anwendungen in die elektronische Pa­tientenakte“ integriert und die Versicherten bei der Nutzung der zum 1. Januar 2021 einzuführenden elektronischen Patientenakte unterstützt werden sollen. Die Verpflich­tung der Krankenkassen, ihren Versicherten eine ePA anzubieten, wurde im Termin­ser­vice- und Versorgungsgesetz (TSVG) festgeschrieben.

ePA ist nicht Geschichte

Auch wenn in der neuen Vorlage des Gesetzes nun diese Regelungen rausgefallen sind, wird an zwei Stellen deutlich, dass die ePA nicht komplett Geschichte ist: So wird weiterhin darauf verwiesen, dass die Krankenkassen ihren Versicherten die elektroni­sche Akte bereitstellen müssen, aber nicht mehr die Kosten eines Drittanbieters über­nehmen müssen. Diese Kostenübernahme steht noch im Sozialgesetzbuch V und wird mit dem DVG gestrichen.

An einer anderen Stelle im neuen Gesetzesvorschlag heißt es, dass die Vertragsärzte ihren Kassenärztlichen Vereinigungen gegenüber nachweisen müssen, dass sie „über die für den Zugriff auf die elektronische Patientenakte erforderlichen Komponenten und Dienste verfügen“.

Den Nachweis, dass entsprechende Komponenten verfügbar sind, müssen Arztpraxen bis zum 30. Juni 2021 erbringen – ansonsten soll auch hier die Vergütung pauschal um ein Prozent des Honorars gekürzt werden. Das Gesetz regelt auch, dass Ärztinnen und Ärzte, die sich nicht bis zum März 2020 an die Tele­ma­tik­infra­struk­tur (TI) anschlie­ßen, mit Honorarabzügen von 2,5 Prozent rechnen müssen.

Die Frist für die Bestellung war am 30. Juni ausgelaufen. Neu ist in dem Gesetz, dass auch Ärzte, die „Versicherte ohne persönlichen Kontakt behandeln oder in die Be­hand­lung des Versicherten einbezogen sind“ sich bis zum Juni 2020 an die TI an­schließen müssen. Dies betrifft vor allem Leistungserbringer von telemedizinischen Sprechstunden. Für Telekonzile sollen es laut Gesetz neun Monate nach in Kraft tre­ten des Gesetzes entsprechende Leistungskataloge vorliegen, die im Bewertungs­aus­schuss erarbeitet werden.

Details zu Apps

Neu im Gesetz sind außerdem detailreichere Regelungen, wie Apps als Medizinpro­dukte künftig in die Versorgung kommen können. Hier ist offenbar ein Verfahren ähn­lich den Arzneimittelbewertungen in der AMNOG-Gesetzgebung vorgesehen.

Demnach bleiben die Preise sowie die Vereinbarungen zum Vergütungsvertrag zwi­schen App-Hersteller und Krankenkassen vertraulich. „Eine Vereinbarung kann von einer Vertragspartei frühestens nach einem Jahr gekündigt werden.“ Eine zentrale Rolle nimmt dabei künftig das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein. Dort soll beispielsweise das Verzeichnis für Digitale Gesundheitsanwendungen geführt werden.

Außerdem konkretisiert das Gesetz die Möglichkeiten für Krankenkassen, in digitale Innovationen zu investieren. Möglich sind demnach eine „fachlich-inhaltliche Koope­ra­tion“ oder einen Erwerb von „Anteilen an Investmentvermögen“. Unter die gleiche Ge­setzgebung fällt auch das Investment in Versorgungsinnovationen. Dafür dürfen Kran­kenkassen künftig auch die Daten ihrer Versicherten nutzen, sofern diese eingewilligt haben.

Datenspende und IT-Sicherheit

Der Umgang mit Daten der Versicherten nimmt im neuen Gesetzestext einen weiteren großen Bereich ein: So wird der Paragraf 303 neu geschaffen, der Bestimmungen fest­legt, welche Datentransparenz für Forschungszwecke künftig gelten sollten. Wie diese Daten der Versicherten, die von den Krankenkassen an Forschungseinrich­tun­gen geliefert werden sollen, verarbeitet werden dürfen, regelt das Gesetz ebenso.

Mit dem Gesetz wird die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) verpflichtet, bis zum 31. März 2020 eine Richtlinie zur Gewährleistung der IT-Sicherheit in Arzt- und Zahnarztpraxen vorzulegen. Die „festzulegenden Anforderungen müssen dem Stand der Technik entsprechen und sind jährlich an den Stand der Technik und an das Ge­fährdungspotential anzupassen“, heißt es. Das Bundesamt für Sicherheit in der Infor­mationstechnik und der Bundesdatenschutzbeauftragte sollen darüber informiert wer­den. Dafür sollen KBV und auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung IT-Dienstleister zertifizieren können.

Des Weiteren wird in dem Gesetz geregelt, dass der Innovationsfonds fortgeführt wird. Aus den Geldern sollen künftig auch Leitlinien finanziert werden können. Beide Rege­lungen waren bereits im Mai im Gesetzentwurf enthalten, in der jetzigen neuen Versi­on werden einzelne Bestimmungen und neue Verfahrensregelungen konkretisiert.

Uneinigkeit im Parlament

Die Kritik des SPD-geführten Bundesjustizministeriums an dem Gesetzentwurf aus dem CDU-geführten BMG ruft bei den Bundestagsabgeordneten der Koalition wie der Opposition unterschiedliche Reaktionen hervor.

So erklärt Tino Sorge, Berichterstatter für die CDU/CSU-Fraktion für Digitalisierung im Gesundheitswesen, dass im Justizministerium „schleunigst die Erkenntnis reifen soll­te, dass Gesundheitsdaten für die Versorgung und den medizinischen Fortschritt von erheblichem Wert sind.“

In einer Mitteilung betonte er: „Die ePA mit ihren Anwendungen ist in dieser Legislatur ein Kernvorhaben. Dieses Leuchtturmprojekt darf nicht durch gut gemeinten, aber zum Nachteil der Patienten überhöhten Datenschutz ausgebremst werden.“ Er warnte vor einer Aushöhlung des „in sich stimmigen“ Gesetzesentwurfs.

Druck ohne Not

Oppositionspolitikerin Maria Klein-Schmeink von den Grünen sieht dies anders. „Ohne Not hat Minister Spahn ausschließlich aus politischen Motiven einen unrealistischen Termin für die Patientenakte durchgesetzt. Dafür bekommt er nun die Quittung.“

Sie bezeichnete die ePA zum Start als „weitgehend nutzlose Attrappe. „Es zeigt sich einmal mehr, dass eine Strategie für das Gelingen der Digitalisierung unabdingbar ist.“ Klein-Schmeink forderte außerdem, dass Spahn die notwendigen Datenschutzein­stellungen sowie realistische Zeitpläne vorlegen solle.

Nach Informationen des Deutschen Ärzteblattes soll das Gesetz bereits kommenden Mittwoch (10. Juli) auf der Tagesordnung des Bundeskabinettes stehen. Auch andere umstrittenen Gesetze aus dem BMG haben offenbar eine neue Terminierung: Laut Kabinettsplanung soll der MDK-Reformgesetz Mitte Juli beraten werden.

Hier gibt es wegen dem massiven Eingriff in die soziale Selbstverwaltung heftige Kritik der Selbstverwaltungsorgane der Krankenkassen. Das sehr umstrittene „Faire-Kas­sen­wahl-Gesetz“, das die Finanzströme zwischen den Krankenkassen sowie eine einheitliche Aufsicht bringen sollte, wurde offenbar auf einen Kabinettstermin im August verschoben. © bee/aerzteblatt.de