Vermischtes
Donnerstag, 11. Juni 2020
Bochum – Als Ärztegewerkschaft hat der Marburger Bund die Arbeitsbedingungen von Ärzten in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Im April 2017 haben Studierende der Pflegewissenschaft an der Hochschule für Gesundheit in Bochum den Bochumer Bund gegründet, den sie im Mai dieses Jahres zu einer Gewerkschaft weiterentwickelt haben.
Ihr Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte zu verbessern. Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt erklärt der Vorstandsvorsitzende des Bochumer Bundes, Benjamin Jäger, wie das gelingen soll.
Fünf Fragen an Benjamin Jäger, Bochumer Bund
DÄ: Welche konkreten Ziele wollen Sie in den kommenden Jahren mit dem Bochumer Bund erreichen?
Benjamin Jäger: Wir müssen nach kurz-, mittel- und langfristigen Zielen differenzieren. Als kurzfristiges Ziel halte ich eine effektive Organisationsstruktur sowie eine solide und nachhaltige Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für unabdingbar. Hierbei zielen wir darauf ab, in den kommenden Wochen bundesweit regionale Netzwerke zu etablieren.
Weiterhin werden wir in den kommenden Monaten in Tarifverhandlungen mit verschiedenen Unternehmen einsteigen. Mittelfristig gilt es, unsere Mitgliederzahl von derzeit etwa 400 Mitgliedern auf ein stabiles Niveau zu bringen. In drei Jahren sollten wir es schaffen, einen Organisationsgrad von mindestens 15 Prozent, besser jedoch 25 Prozent, unter allen beruflich Pflegenden zu erreichen.
Langfristig bauen wir auf ein politisch und gesellschaftlich relevantes Bündnis aus Pflegekammern, unserer Gewerkschaft und Berufsverbänden, um beruflich Pflegenden sowohl in der Politik, in der Gesellschaft als auch gegenüber Arbeitgebern eine starke und ernstzunehmende Stimme zu geben.
DÄ: Mit welchen Mitteln wollen Sie diese Ziele erreichen? Wie wollen Sie die Pflegekräfte dazu gewinnen, Mitglied im Bochumer Bund zu werden?
Jäger: Es liegt in der Natur der Sache, dass am Anfang einer Organisationsentwicklung viele strukturelle Hürden zu bewältigen sind. Wir haben uns daher in der Ausgestaltung des Bochumer Bunds für eine schlanke Organisation ohne viele bürokratische Hürden entschieden. Das führt auch zu einer flachen Hierarchie, die den Vorstand und unsere Tarifkommission näher an die Kolleginnen und Kollegen vor Ort bringt. Das wiederum führt zu einer effektiveren Arbeitsweise, um unsere Ziele voranzubringen.
Die Gewinnung von Mitgliedern haben wir bisher über soziale Netzwerke erfolgreich umsetzen können. Ebenso berichten viele unserer Mitglieder, dass sie von anderen beruflich Pflegenden auf uns aufmerksam gemacht wurden oder Interviews gehört beziehungsweise gelesen haben. Wir erleben, dass viele Pflegende darauf gewartet haben, eine neue Organisationsform zu finden, in der sie sich aufgehoben fühlen.
Dabei sind es vor allem jene, die noch nie irgendwo organisiert waren und die mit den bestehenden gewerkschaftlichen Angeboten nichts anfangen konnten. Grundsätzlich arbeiten wir aktuell auch an Leistungen wie einer Rechtsschutzversicherung: Auch solche Vorteile ziehen Mitglieder an.
DÄ: Insbesondere in Niedersachsen ist der Widerstand gegen die Pflegekammer in der Berufsgruppe groß. Wie passt es aus Ihrer Sicht zusammen, dass sich viele Pflegekräfte einerseits eine größere Wertschätzung und bessere Arbeitsbedingungen wünschen, sie andererseits aber eine Pflegekammer ablehnen?
Jäger: Das widersprüchliche Verhalten von einigen Kolleginnen und Kollegen ist auf verschiedenen Ebenen zu betrachten. Man muss sich zunächst klarmachen, dass wir es bundesweit gesehen mit einer lauten Minderheit gegenüber einer schweigenden Mehrheit zu tun haben.
Insbesondere in Niedersachsen gab es einige unglückliche Umstände, beispielsweise eine fehlende Anschubfinanzierung oder der fehlende Rückhalt durch Teile der Landespolitik beziehungsweise -regierung.
Hierzu zählt aber auch die unrühmliche Rolle der Gewerkschaft Verdi, die dieses widersprüchliche Verhalten befördert hat. Sie war und ist daran beteiligt, gegen eine unabhängige Selbstverwaltung der Pflege und damit gegen eine Erhöhung des Organisationsgrads von Pflegenden durch Kammern zu agitieren und unseren Berufsstand damit nicht nur zu schwächen, sondern auch in zwei Lager zu spalten.
Insgesamt wurde es versäumt, die Bedeutung und die Aufgaben von Pflegekammern herauszuarbeiten und an den Einzelnen zu bringen. Eines der häufigen Argumente lautet ja, dass Kammern nichts an den Arbeitsbedingungen verbessern können. Dabei zählt dies zu ihren Aufgaben – wie auch zu denen von Gewerkschaften.
So ist in Niedersachsen die Beratung und Unterstützung von Behörden durch die Pflegekammer bei der Gesetzgebung gesetzlich festgeschrieben – dies beinhaltet unter anderem die Arbeitsbedingungen. Außerdem können die Pflegekammern qualitativ hochwertige pflegerische Arbeit beispielsweise über von ihnen erlassene Berufsordnungen sicherstellen.
Entsprechende Empfehlungen oder Vorgaben können durchaus dazu führen, dass Arbeitgeber sich gezwungen sehen, mehr Personal einzustellen, um pflegefachlich hochwertige Arbeit zu erzielen. Hier sehe ich auch ein strukturelles Defizit in der Ausbildung von beruflich Pflegenden. Das Thema Berufspolitik wird in vielen Pflegeschulen sehr stiefmütterlich behandelt.
DÄ: Derzeit verhandeln die Gewerkschaft Verdi und die Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) einen Tarifvertrag für die Pflegebranche. Wie bewerten Sie diese Verhandlungen vor dem Hintergrund, dass nur vergleichsweise wenige Pflegekräfte Mitglied von Verdi sind und die privaten Träger im BVAP nicht vertreten sind?
Jäger: Der geringe Organisationsgrad innerhalb der Pflege ist ja ein grundsätzliches Problem. Dadurch verschiebt sich auch das Machtverhältnis zugunsten der Arbeitgeber. Dementsprechend stellt sich für die Arbeitgeber auch die Legitimationsfrage des Vertretungsanspruchs von Verdi.
Das Fehlen privater Träger im BVAP ist ein Umstand, der dazu führt, dass mit einzelnen privaten Anbietern direkt verhandelt werden muss. Für einen flächendeckenden Tarifvertrag ist diese Unterteilung jedoch äußerst kontraproduktiv.
Aber auch das ist das Ergebnis von schlecht organisierten Gesundheitsberufen und der damit einhergehenden politischen Untergewichtung. Wir haben von vielen privaten Trägern bereits Verhandlungsbereitschaft signalisiert bekommen und werden diese Verhandlungen mittelfristig auch führen.
DÄ: Inwiefern nehmen Sie sich den Marburger Bund bei Ihrer Arbeit zum Vorbild?
Jäger: Der Marburger Bund ist insofern Vorbild, als dass wir gesehen haben, wie wichtig berufseigene gewerkschaftliche Vertretungen sind, die von Personen geführt werden, die aus ebenjenem Beruf stammen.
Der Einfluss, den der Marburger Bund mit seiner Arbeit gewonnen hat, ist für mich ein Stückweit Motivation. Denn die Bedeutung des Pflegeberufs steht in keinem Verhältnis zu seiner Bedeutung innerhalb der Gesundheits-, Sozial- und Arbeitspolitik.
Wodurch wir uns haben inspirieren lassen, ist unverkennbar auch der Name unserer Gewerkschaft. Auch haben wir uns bei einigen offenen Fragen der organisationalen Ausgestaltung Anregungen geholt. Trotz einiger Gemeinsamkeiten verstehen wir uns dennoch als neuen gewerkschaftlichen Ansatz. © fos/aerzteblatt.de