Politik

Freitag, 16. August 2019

Berlin – Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) hat mit seinen Reformplänen zur Versorgung schwerkranker Menschen mit künstlicher Beatmung eine Debatte unter Be­troffenenvertretern und Proteste aus der Pflege ausgelöst.

Nach den Gesetzesplänen sollen Menschen, die etwa nach einem Unfall künstlich beat­met werden müssen, eine bessere Betreuung bekommen. Um höhere Qualitätsstandards zu verankern, soll eine Intensivpflege in der eigenen Wohnung daher künftig die Aus­nahme sein. In der Regel soll sie in Pflegeheimen oder speziellen Beatmungs-WGs statt­finden.

Weiterhin einen Anspruch auf Intensivpflege zu Hause haben sollen Minderjährige. Aus­nahmen sollen zudem möglich sein, wenn die Unterbringung in einer Einrichtung nicht möglich oder zumutbar ist. Gleichzeitig sollen die Eigenanteile für GKV-Versicherte bei einer Unterbringung in einer stationären Spezial­pfle­geeinrichtung von bis zu 3.000 Euro im Monat auf maxi­mal 280 Euro gesenkt werden.

Vor allen an der verpflichtenden Unterbringung in stationären Einrichtungen oder Pflege-WGs war Kritik laut geworden. Dies würde die Lebensqualität vieler Menschen mit Behin­de­rung verschlechtern, hieß es. Der Verein AbilityWatch, der sich als als Teil einer moder­nen Beh­indertenbewegung in Deutschland versteht, sprach von einem „Skandal“. Der vor­lie­gende Gesetzentwurf missachte die Würde von Menschen, dringe in ihren Alltag ein und diskri­miniere sie, schreibt der Verein auf seiner Internetseite.

Für Betroffene bedeute die Reform für immer in vollstationären Einrichtungen zu leben. „Der 40-jährige Kampf behinderter Menschen für ein Leben daheim wäre verloren.“ Zu­dem ist aus Sicht des Vereins zu befürchten, dass viele Betroffene zukünftig so lange wie möglich eine Beatmung hinausschieben würden – aus Angst, ihr ambulantes, selbst­stän­diges Leben aufgeben zu müssen. AbilityWatch sieht in den Plänen ein reines Kosten­ein­sparinstrument.

Grundsätzliche Kritik kam auch von Pflegevertretern. „Mit der neuen Gesetzesinitiative des Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter­iums erreicht man in Zukunft lediglich, dass aufgrund einiger bekannter Betrugsfälle gleich eine ganze Berufsgruppe implizit unter Generalver­dacht gestellt wird und die ambulante häusliche Intensivpflege zu einem Auslaufmodell abstumpft“, bemängelte Markus Mai, Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz.

Er bezeichnete die Pläne als „Schlag ins Gesicht für die versorgten Patienten als auch für die sie versorgenden Pflegefachpersonen“. Im häuslichen Setting der ambulanten Inten­siv­pflege seien professionell qualifizierte Pflegefachpersonen rund um die Uhr sehr enga­giert tätig, um ganz individuell auf die Bedürfnisse ihrer Patienten einzugehen. „Nur weil die ambulante Intensivpflege zu Hause sehr teuer ist, sollten Patienten nicht gegen ihren Willen gezwungen werden in Heime oder Wohngemeinschaften zu ziehen“, sagte er.

Vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hieß es, die Pläne bedürften er­heblicher Nachbesserungen. „In einem Schnellschuss werden für eine spezielle Gruppe von kranken Menschen weitreichende Leistungseinschnitte vorgeschlagen“, sagte Peter Tackenberg, stellvertretender Geschäftsführer des DBfK. Die Einschränkung der Wahlfrei­heit werde vielen Patientengruppen nicht gerecht, etwa Patienten mit ALS oder einem hohen Querschnitt.

„Diese können nicht von der Beatmung entwöhnt werden und haben nicht nur das Recht auf eine professionelle Pflege, sondern auch auf Inklusion und Selbstbestimmung. Pa­tien­ten dürfen nicht aus rein wirtschaftlichen Gründen genötigt werden, in Pflegeeinrich­tun­gen oder Intensivpflege-Wohneinheiten zu ziehen“, erklärte Tackenberg.

Auch die Grünen übten heute Kritik. „Spahns Pläne für ein Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz sind einseitig und nicht zielgenau“, sagte die Sprecherin der Grünen für Behindertenpolitik, Corinna Rüffer.

Die Grünen-Sprecherin für Pflegepolitik, Kordula Schulz-Asche, betonte, es sei unethisch, wenn das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter­ium die Frage nach der Wirtschaftlichkeit dieser Ver­­sorgungsform stelle. Sie forderte die Bundesregierung auf, „die Qualität in der Versor­gung zu verbessern, kriminelle Machenschaften zu verhindern, aber den Menschen mit Intensivpflegebedarf größtmögliche Autonomie zu ermöglichen“.

Auch Zustimmung

Der Bundesverband Schädel-Hirnpatienten in Not verteidigte hingegen den Entwurf. Der­zeit könnten sich viele Familien eine stationäre „Bestversorgung“ nicht leisten und seien allein deshalb in „pseudoambulanten Intensivwohngruppen“, erklärte der Verband ges­­tern. Dort seien Betroffene häufig die einzigen Verlierer, während andere Geschäfte mach­ten. Dies solle nun richtigerweise geändert werden.

Der Verband Schädel-Hirnpatienten in Not sprach von einer „lobenswerten Initiative“. Für Betroffene gehe es um die beste Versorgung mit einem hohen aktivierenden Pflegeauf­wand zurück ins Leben. Der Gesetzentwurf zielt nur auf Pflegebedürftige, die ständig und rund um die Uhr von ausgebildeten Kräften betreut werden müssen.

Auch der Sozialverband VdK hatte in einer ersten Reaktion die Pläne Spahns unterstützt. „Beatmungs-WGs sind derzeit Heime ohne Heimaufsicht. Niemand weiß, was dort hinter verschlossenen Türen passiert“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. „Intensivpflege gehört aber in professionelle Einrichtun­gen mit geprüfter Qualität. Denn Menschen, die einen sehr hohen Unterstützungsbedarf haben, brauchen die Gewissheit, dass sie in guten Händen sind und optimal versorgt wer­den.“ © may/dpa/kna/aerzteblatt.de