Politik

Montag, 22. Juli 2019

Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) erklärte heute seine Pläne für eine Notfallversorgung. /picture alliance, Jörg Carstensen

Berlin – Das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter­ium (BMG) treibt eine Reform der Notfallver­sorgung weiter voran. Ein Arbeitsentwurf zu einem möglichen Gesetz wurde bereits vergangene Woche an die Bundesländer versandt. Am 14. August will Joachim Be­cker, Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung im Ministerium, mit den Vertretern der Ge­sund­heits­mi­nis­terien aus den Bundesländern über die Vorschläge diskutieren.

„Derzeit sind die Notaufnahmen der Krankenhäuser zu oft überlaufen“, erklärte Bun­desgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dazu heute in Berlin. Mit der Reform wolle man die Probleme im Notdienst „an der Wurzel“ packen. Möglicherweise könnte in diesem Zusammenhang für die Re-Organisation des Rettungsdienst auch eine Grundgesetzänderung notwendig werden.

Der Diskussionsentwurf, der bereits vergangene Woche bekannt wurde, lehnt sich weitgehend an die Eckpunkte eines Reformvorschlages aus dem Dezember sowie den Überlegungen aus dem Sachverständigenratsgutachten vom Sommer 2018 an.

Demnach sollen die ambulante, stationäre und rettungsdienstliche Notfallversorgung in einem System zusammengefasst werden. Damit sollen die Patienten auch besser durch das Notfallsystem gesteuert werden, da die Notaufnahmen von Krankenhäusern immer häufiger von Patienten mit Bagatellerkrankungen belegt werden.

In den geplanten gemeinsamen Notfallleitstellen, die rund um die Uhr erreichbar sein sollen, sollen künftig der kassenärztliche Bereitschaftsdienst  mit der Rufnummer 116117 sowie der Rettungsdienst mit der Nummer 112 nach einheitlichen Standards die Dringlichkeit der medizinischen Versorgung einschätzen.

Einrichtung von Integrierten Notfallzentren

Zusätzlich sollen Integrierte Notfallzentren (INZ) an einigen Krankenhäusern ent­stehen, die eine qualifizierte Ersteinschätzung des Behandlungsbedarfes abgeben sollen, wenn Patienten direkt zum Krankenhaus kommen. Diese neuen Zentren sollen von Kassen­ärztlichen Vereinigungen (KVen) sowie Klini­ken gemeinsam betreiben werden.

Auch räumlich sollen sie an den Krankenhäusern angebunden sein. Die Planung so­wie der Sicherstellungsauftrag für die INZs soll bei den Ländern liegen. Bei der Pla­nung sollen die Länder laut Diskussionsentwurf sich an den bestehenden Strukturen orien­tieren. In vielen Regionen wurden bereits gemeinsame Portalpraxen aufgebaut, rund 700 sind bereits eingerichtet.

SPD und Grüne signalisieren Zustimmung

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach befürwortet eine Reform der Notfallver­sorgung. Diese müsse in Deutschland „besser organisiert werden“, sagte Lauterbach der Rheinischen Post. „Außerdem sterben in Deutschland mehr Menschen als in man­chen anderen Industrienationen an den akuten Folgen von Schlaganfällen, Herzinfark­ten oder schweren Unfällen“, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende.

Die Grünen signalisierten Unterstützung: Die Reform sei „überfällig“ erklärte Kirsten Kappert-Gonther. „Wir Grüne haben hierzu bereits im vergangenen Jahr konkrete Vor­schläge gemacht, an denen sich Ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn erfreulicherweise orientiert“, so Kappert-Gonther. Die Bundesländer müssten aber für die Reform eine bessere Finanzierung bereitstellen. Falls eine Grundgesetzänderung notwendig wird, muss Spahn für seinen Gesetzentwurf auch bei den Oppositionsparteien werben.

Viel Zustimmung

Vertreter von Ärzten und Krankenhäusern reagierten sehr unterschiedlich auf den Dis­kussionsentwurf. So erklärte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundes­vereinigung (KBV), Andreas Gassen, dass es „sinnvoll“ sei, die Notfallversorgung zu reformieren. „Es dürfen dabei aber nicht gewachsene Strukturen zerstört werden“, sagte Gassen.

Bereits heute würden KVen und Krankenhäuser mehr als 600 Bereitschaftsdienst- oder Portalpraxen betreiben. Ein dritter Sektor für die Abrechnung wäre der falsche Ansatz, so Gassen. Außerdem arbeite die KBV beispielsweise an der Erweiterung der Bereitschaftsdienstnummer 116117. Geplant sei, zum Jahresbeginn die Kranken­häu­ser durch eine telefonische Ersteinschätzung zu entlasten. „Eins ist natürlich auch klar: Neue Ärzte gibt es dadurch nicht. Es gilt, die vorhandenen knappen Ressourcen zu bündeln.“

„Die neuen Vorschläge, so auch die geplante Einrichtung von Gemeinsamen Notfall­leitstellen oder die Reorganisation des Rettungsdienstes, bieten grundsätzlich eine gute Grundlage für den weiteren Dialog“, erklärte der Präsident der Bundesärzte­kammer, Klaus Reinhardt. Er begrüßte die „konkreten Schritte zu der längst überfälli­gen Reform.“

Reinhardt weiter: „Dass jetzt ambulante Strukturen der Notfallversorgung in sogenann­ten Integrierten Notfallzentren (INZ) mit geeigneten Krankenhausstandorten in ge­mein­samer Trägerschaft zusammenarbeiten sollen, unterstützt den dringend notwen­digen Ausbau der Kooperation aller Beteiligten.“ Hier müsse nun diskutiert werden, wie künftig Länder, KVen, Kliniken aber auch Ärztekammern zusammen arbeiten könnten.

Die Vizepräsidentin der Bundes­ärzte­kammer und Präsidentin der Ärztekammer Bre­men, Heidrun Gitter, mahnte an, klar zu definieren, welche Maßnahmen der Grund­diagnostik und -therapie im ambulanten Notfalldienst vorgehalten werden sollten und wann die Inanspruchnahme von Kran­ken­haus­struk­tu­ren sinnvoll und geboten sei. „Nur so werden die Zentralen Notaufnahmen der Kliniken tatsächlich entlastet“, sagte sie. Gemeinsame Vorschläge von Vertragsärzten und Krankenhausärzten lägen dazu be­reits vor, so Gitter. Wichtig sei, auch die Expertise der ärztlichen Leitungen der Not­aufnahmen einzubeziehen.

Kritische Töne zum Sicherstellungauftrag
Dass der Sicherstellungauftrag für die INZ auf die Länder übergehen soll, wird eher kritisch bewertet. „Hier gilt es jetzt allerdings sehr genau hinzuschauen, wie tragfähig die vorgesehene Konstruktion im Dreieck zwischen den Ländern sowie den Kranken­häusern und den ambulanten Strukturen ist“, heißt es aus dem Hartmannbund.

Auch müsse es aus Sicht des Verbandes eine grundsätzliche Diskussion über die In­halte der Notfallversorgung geben – wenn der Bereich, wie jetzt geplant, eine eigene separate Finanzierung bekommen soll.

Vertreter der Krankenhäuser bewerten den Diskussionsentwurf ebenfalls positiv – ihre Forderungen gehen aber ein Stück weiter als der Diskussionsentwurf. „Wir begrüßen, dass der Gesetzesentwurf anerkennt, dass das Krankenhaus auch zukünftig der Ort ist, an dem die ambulante Notfallversorgung stattfindet“, sagte Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) in einer Mitteilung.

Es sei gut, dass die Bundesländer nun ebenso in die Verantwortung genommen wer­den. „Die bis dato im Gesetz verankerte Zuständigkeit bei den Kassenärztlichen Ver­einigungen hat nicht funktioniert. Die Krankenhäuser stehen bereit, gemeinsam mit den Ländern die Notfallversorgung zu organisieren“, so Gaß weiter.

DKG gegen Abrechnung von INZ über die KVen

Unverständnis äußerte der DKG-Präsident, dass Krankenhäuser dazu verpflichtet wer­den sollen, mit den KVen gemeinsame Betriebe für die INZ gründen zu müssen. „Für die DKG ist es bei einer Reform wesentlich, dass die Abrechnung nicht mehr über die KVen laufen muss. Die unmittelbare Abrechnung mit den Krankenkassen sollte da­her ein zentraler Bestandteil der Reform sein“, hieß es weiter in der Mitteilung. Auf die Büro­kratie, die durch die Zusammenarbeit mit den KVen entstanden sei, „kann sehr gut verzichtet werden“, so Gaß.

Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes forderte bei dieser Diskussion, dass der Gemeinsame Bundes­aus­schuss (G-BA) die Befugnisse für die Festlegung des Leistungsumfanges sowie die Kapazitätsplanungen und Personal­vorga­ben festlegen sollte. Einheitliche Qualitätsvorgaben für einen bundesweiten Rettungsdienst seien notwendig.

Angesprochen auf die erneut beginnende Diskussion zwischen Vertragsärzten und Krankenhausvertretern bei einer Notdienstreform erklärte Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Spahn. „Wir moderieren Streit in der Regel so, dass – wenn es nicht zu einem produk­ti­ven eigenständigen Ergebnis kommt – wir das Ergebnis politisch herbeiführen“, sagte der Minister. Er werde es nicht akzeptieren, dass es zu einer monatelangen Nicht-Ent­scheidung auf dem Rücken der Patienten komme. © bee/aerzteblatt.de