Hochschulen

Dienstag, 23. Juni 2020

Berlin – Obwohl das digitale Studium während der COVID-19-Pandemie nach Angaben von Studierenden besser läuft als gedacht, steigt gleichzeitig die mentale Belastung. Trotz umfangreicher Nutzung von Kommunikationsplattformen und sozialer Medien füh­len sich viele Studierende einsam und empfinden das Lernen an einem Ort als belastend.

Dies ist das Ergebnis einer Umfrage der Fachschaften der Universität zu Lübeck, die diese im April unter allen 5.000 Lübecker Studierenden starteten. Insgesamt mehr als 3.000 Studierende der Sektionen Angewandte Naturwissenschaften und Technik, Mathematik und Informatik, Psychologie, Gesundheitswissenschaften und Medizin beteiligten sich.

Erstmalig in der jüngeren Geschichte Deutschlands ist für das Sommersemester 2020 bundesweit die Präsenzlehre ausgesetzt worden und die Universitäten mussten ad hoc die Lehre auf digitale Ersatzformate umstellen, so auch die Universität zu Lübeck.

Sehr erfreulich für die Uni ist nun, dass etwa 80 Prozent der Studierenden angaben, dass das Onlinestudium besser liefe als gedacht, betonte Edgar Voltmer, Professor für Gesund­heitsförderung in Studium und Beruf am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Universität zu Lübeck, im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt.

Von fast dreiviertel der Teilnehmenden sei die technische Umsetzung der Lehre, die Struk­tu­rierung der Lehrinhalte und die Unterstützung durch die Dozierenden als gut bis sehr gut bewertet worden, sagte er.

„Wesentlich stärker als andere Studierendengruppen waren die Mediziner davon betroff­en, dass Praktika abgesagt wurden und sie daher nicht alle benötigten Veranstaltungen besuchen konnten“, ergänzte er. „Auch in den Studiengängen der Gesundheitswissen­schaf­ten sei dies besonders für die Examenssemester ein großes Problem gewesen“, er­läuterte Minettchen Herchenröder vom Studiengang Physiotherapie.

Gut die Hälfte aller Studierenden gab im Rahmen der Umfrage an, von der Schließung der Bibliothek beeinträchtigt zu sein. Die Schließung der PC-Pools war für ein Drittel der Teilnehmenden insbesondere aus den MINT Studiengängen problematisch.

„Rund ein Drittel der Studierenden befürchten, ihr Studium aufgrund der aktuellen Situa­tion verlängern zu müssen. Als Gründe dafür wurden häufig ein vermehrter Lernaufwand, fehlende Kinderbetreuung und Verschiebungen von Praktika und Abschlussarbeiten durch die geschlossenen Labore angegeben“, erläutern die Vertreter der Fachschaften (Steffen Marquardt und Ann-Christin Capelle für die Fachschaft Angewandte Naturwissenschaften und Technik; Magnus Bender, Ole Gildemeister und Isabella Miller für die Fachschaft Ma­thematik und Informatik; Frederike Heiden und Marieke Ritz für die Fachschaft Medizin und Gesundheit; Elena Kattein und Hauke Lehna für die Fachschaft Psychologie).

Ein erfreulich hoher Anteil der Studierenden habe indes einen geregelten Tagesablauf bestätigt (86 Prozent). Gut die Hälfte der Studierenden (51 Prozent) habe angegeben, dass sich der Arbeitsaufwand für das Studium im Vergleich zu vorangegangenen Semes­tern etwas oder sogar deutlich erhöht hätte. „Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Fachbereichen, insbesondere zu der Medizin“, erläuterte Voltmer. „Während etwa 70 Prozent der Studierenden in den Gesundheitswissenschaften diese Aussage be­stätigten, waren dies bei den Medizinern nur gut 30 Prozent.“

Steigende mentale Belastung

Gleichzeitig zeigte die Umfrage, dass für viele Studierende die mentale Belastung stieg: für 15 Prozent der Medizinstudierenden bis 26 Prozent der Psychologiestudierenden so­gar deutlich. „Neben finanziellen Belastungen, die für 28 Prozent der Studierenden ge­stie­gen war, trug dazu sicher auch eine von 75 Prozent als schlechter empfundene Ver­netzung bei“, erklärt Voltmer.

Trotz umfangreicher Nutzung von Kommunikationsplattformen und sozialer Messenger/­Me­dien sei von 60 Prozent der Studierenden das zeitweise Gefühl von Einsamkeit ange­ge­ben worden. In gleichem Umfang wurde das Lernen an einem Ort als belastend em­pfunden.

„Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass mehr als die Hälfte der Studierenden eine vermehrte Nutzung von Streamingdiensten angab“, sagte Voltmer. Ein vermehrter Kon­sum von Alkohol sei dagegen „nur“ von 13 Prozent bestätigt worden. „Angesichts der Ergebnisse überrascht es nicht, dass eine überwältigende Mehrheit der Studierenden (85 Prozent) sich darauf freut, den Campus wiederzusehen. Für ein knappes Drittel trifft dies auch für das Mensaessen zu.“

Während der Pandemie entwickelten sich zudem viele konstruktive studentische Initiati­ven: Gut ein Viertel der Studierenden aus Medizin und Gesundheitswissenschaften enga­gierten sich in medizinischen Einrichtungen in der Corona-Hilfe. Auf verschiedenen Ka­nälen (E-Mail-Verteiler, WhatsApp-Gruppen, Soziale Medien der Fachschaften und Inter­netforum der Uni) wurden Informationen und Strategien zu Angeboten und Verhalten in der Pandemiezeit geteilt.

„Diese sollen den Kommilitonen helfen, auch während der Coronakrise körperlich und mental gesund und leistungsfähig zu bleiben“, erläutern die Vertreter der Fachschaften. So hätten sich Online-Spieleabende, -Speed-Meetings und E-Mailfreundschaften, Buch­be­sprechungen und -lesungen, Erfahrungsberichte über das eigene Erleben in diesen Zeiten oder Hinweise auf hilfreiche Angebote anderer Universitäten (wie Studentenseel­sorge) etabliert.

Gleichzeitig wurde an der Uni Lübeck die Internetpräsenz von Beratungsangeboten für Studierende und Mitarbeiter erhöht. „Für Studierende gehören dazu auch ‚Empfehlungen für Gesundheit und Wohlbefinden in Coronazeiten‘ unter den Stichworten: Ich achte auf mich, Ich strukturiere meinen Tag, Ich bleibe in Verbindung und Ich suche mir Hilfe“, er­läutert Voltmer. Darin enthalten sind Links zu einer Notfallkarte mit einer Übersicht über alle Beratungsangebote für Studierende in und um die Universität.

„Neben Belastungen und Risiken der Corona-Pandemie wird durch die aufgezeigten Akti­vitäten an der Universität zu Lübeck deutlich, dass Krisensituationen die Chance für die Entwicklung und Freisetzung von Ressourcen in sich bergen“, resümiert Voltmer. Dies gel­te besonders für die Digitalisierung, die sowohl in der Onlinelehre als auch der berufli­chen und studienbezogenen Kommunikation einen enormen Entwicklungsschub ver­zeich­nete.

„Aus den Freitexten der Umfrage ging hervor, dass die Studierenden die persönliche In­teraktion mit ihren Kommilitonen aber auch mit den Dozierenden in diesem Semester vermissen“, so die Vertreter der Fachschaften. „Jedoch wird auch sehr häufig gewünscht, dass die Videoaufnahmen der Vorlesungen beibehalten werden, da diese als sehr hilf­reich für eine intensivere Beschäftigung mit dem Lernstoff beschrieben werden.“

„Das Statement der Universität zu Lübeck reflektiert unter dem Titel „Was ich bedenken will“ die Verantwortung von Studierenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für sich selbst, die Uni und die Gesellschaft. Die aufgezeigten Ergebnisse und Aktivitäten belegen, dass dies an der Universität zu Lübeck tragfähig ist und gelebt wird“, bestätigt Jürgen Westermann, Leiter Studium und Lehre der Sektion Medizin. © ER/aerzteblatt.de